Neutestamentliche Zeitgeschichte: Historische Realität und religiöse Hoffnung

Jerusalem, Zentrum eines jüdischen Staates zur Zeit Christi Geburt, war Dreh- und Angelpunkt für zwei der drei großen Buchreligionen. Nicht zuletzt die spezifische gesellschaftliche und kulturelle Begebenheit machte Jerusalem zum Keim des Christentums, einer Religion, die sich über die Jahrhunderte in der ganzen Welt verbreiten sollte. Gedenk dieser Bedeutung behandelte die Wissenschaftliche Sitzung von Lukas Nadenau die historische Realität und religiöse Hoffnung im Heiligen Land.

Um die gesellschaftlichen Verhältnisse in Judäa zu verstehen muss die Epoche des Hellenismus einbezogen werden, die mit den Eroberungen Alexanders des Großen begann und schließlich mit dem Untergang des letzten Diadochengeschlechts, den Ptolemäern, sein Ende fand. Mit den Eroberungen einher gingen die Verbreitung der griechischen Kultur durch strukturelle Veränderungen. So wurden beispielsweise neue Städte errichtet, die Agora, Gymnasien und Theater wurden die Zentren des urbanen Lebens und Ort der griechischen Bildung und Kunst. Das polytheistische Pantheon der Griechen bot die Möglichkeit des Synkretismus, also der Vermischung religiöser Vorstellungen in den unterworfenen Landstrichen. Die Götter der sogenannten Barbaren wurden ohne Weiteres einbezogen. Alleinstellungsmerkmal des jüdischen Glaubens war zu jener Zeit allerdings der Monotheismus. Und so entstand ein Dualismus zwischen dem verbreiteten Polytheismus und dem Monotheismus. Zu dieser Zeit ersehnte man, die griechischen Einflüsse zurückzudrängen, die eigene kulturelle und nationale Identität zu wahren sowie erneut einen unabhängigen und starken jüdischen Staat zu schaffen.

In römischer Zeit wurde Palästina schließlich von einem Klientelkönig regiert. Der jüdische Glauben wurde weitestgehend toleriert, der Tempelkult wurde geschützt, der Kaiserkult gar ausgesetzt. Geprägt war die jüdische Gesellschaft jener Zeit allem voran vom Glauben an den einen Gott und die Ausrichtung aller Juden auf den Tempel in Jerusalem. Von zentraler Bedeutung für das Judentum waren auch die Synagogen sowie Feiertage, das Reinheitsgebot und die Beschneidung. Als trennender Unterschied zu anderen Bewohnern des Römischen Reiches galt das Bewusstsein, dass die Juden das von Gott erwählte Volk seien. Die jüdische Gesellschaft setzte sich auf verschiedenen Volksgruppen zusammen, wie Sadduzäern, Pharisäern und den Zeloten. Einen nicht unerheblichen Anteil machten die sogenannten Diasporajuden aus, die über das ganze Römische Reich verstreut lebten. Diese Gruppe bot sicher den größten Berührungspunkt mit der vielfältigen Gesellschaft des Reiches. Ein Austausch der Kulturen fand im Spannungsfeld von Faszination und Ablehnung statt.

Die religiösen Hoffnungen der Juden jener Zeit waren von der jüdischen Apokalyptik geprägt. Sie verstanden die Geschichte ihres Volkes als eine Abfolge negativer Ereignisse, einer Unheilsgeschichte. Immer wieder entführt und unterdrückt, zu jener Zeit als fremdbestimmter Teil des polytheistischen Römischen Reiches, erhoffte man Erlösung und Errettung. Zentral dabei war die Vorstellung eines Messias, der sie erlösen sollte. Am letzten Tag sollte Gott als König der Welt über die Menschen richten und das Friedensreich bringen. So sollte ein neues Volk ohne Sünde entstehen. In dieser Endzeitstimmung erwartete man ein Leben nach dem Tod oder einen segensreichen Neubeginn.