Eine traurige Aktualität hat die Aufführung durch die Anschläge in Paris vom 13. November erhalten: In Ferdinand von Schirachs erstem Theaterstück geht es um ein von Terroristen entführtes Passagierflugzeug und die Frage, ob es verwerflich oder vielmehr geboten ist, ein solches Flugzeug abzuschießen, wenn der Entführer droht, das Flugzeug in ein vollbesetztes Stadion stürzen zu lassen.
Die Unitas Assindia besuchte eine der ersten Aufführungen von „Terror“ im Theater Aachen. Dabei konnte das Publikum als Schöffen dem fiktiven Gerichtsprozess beiwohnen, in dem sich Lars Koch, Major der Luftwaffe, verantworten muss. Als Pilot eines Kampfflugzeuges war er kurz nach Bekanntwerden der Flugzeugentführung eines Airbus A320 zum Einsatzort in der Luft gerufen worden. Der Terrorist hatte klar gemacht, dass der Linienflieger in seiner Gewalt sei und Kurs auf die ausverkaufte Münchner Allianz-Arena genommen habe, in der sich wegen eines Fußballspiels 70.000 Zuschauer befinden. Nachdem das Abdrängen des Flugzeugs durch den Kampfflieger und das Abfeuern von Warnschüssen folgenlos bleiben, der finale Abschuss jedoch von Kochs Vorgesetztem verweigert wird, feuert er in letzter Minute eigenmächtig eine Luft-Luft-Rakete ab, die schließlich den Airbus über einem Kartoffelacker zum Absturz bringt. Lars Koch wird nach seiner Rückkehr beim Luftwaffenstützpunkt festgenommen und muss sich nun des 164-fachen Mordes verantworten.
Ferdinand von Schirach, Schriftsteller und Strafverteidiger, hat penibel recherchiert, von den Knöpfen an der Uniform bis zum tatsächlichen Rechtsrahmen. Denn im Februar 2006 kippte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein Jahr nach dessen Erlass einen wesentlichen Punkt des Luftsicherheitsgesetzes: § 14 Abs. 3, der den Abschuss eines Flugzeuges im Fall einer Entführung erlaubte, sei mit dem Grundgesetz unvereinbar und damit nichtig. Die Abschussermächtigung verstoße gegen das Grundrecht auf Leben und gegen die Menschenwürde. Das Aufwiegen von Menschenleben und das vorsätzliche Töten, also das zum Objekt machen von Menschen zum Schutz anderer Menschen, sei illegitim.

Kampfpilot Koch hat nun zwar entgegen der Befehlskette gehandelt, doch zu seiner strafrechtlichen Verantwortung findet sich ausdrücklich keine Entscheidung in der Erklärung der Karlsruher Richter. Diese Lücke fällt also nun auf die Zuschauer, die Laienrichter in besagtem Theaterstück, zurück. Sie verfolgen einen juristischen Schlagabtausch, der schnell die Grenzen der moralischen Gewissheit erkennen lässt. Handelte der Kampfpilot falsch, schon alleine, weil das Töten eines Menschen grundsätzlich falsch ist? Immanuel Kant, der bekannteste Vertreter der Deontologie, hätte ohne zu zögern mit Ja geantwortet, wie wir in der Prinzipienrede bei der Antrittskneipe gehört haben. Ein Utilitarist auf der anderen Seite würde die Anzahl der Menschen aufwiegen, also sich für den vermuteten Weg des kleineren Übels entscheiden. Der Prozess wird also unmerklich von fundamentalen philosophischen Betrachtungen begleitet, in die sich Strafverteidiger und Staatsanwältin immer wieder ergeben.
Geschickt spielt von Schirach dabei mit den Gefühlen und dem Gerechtigkeitsempfinden der Zuschauer. Nicht nur die beiden Juristen können mit ihren Argumenten immer von Neuem von der jeweils gegensätzlichen Position überzeugen, auch der Angeklagte selbst hat sich die Tat erkennbar nicht leichtgemacht und weiß sich entsprechend auszudrücken.
Und so bleibt am Ende, nach etlicher Abwägung, die quälende und äußerst schwierige Entscheidung, ob Major Lars Koch freizusprechen oder des Mordes zu verurteilen ist.
Hintergrund
„Terror“ von Ferdinand von Schirach wird seit dem 3. Oktober 2015 in vielen Theatern in Deutschland gespielt. Die Abstimmungsergebnisse des Publikums am Ende jeder Vorstellung können nach Städten aufgeschlüsselt online eingesehen werden. Mit 75% der Stimmen für einen Freispruch ist über Lars Kochs Urteil am Abend unseres Besuches überraschend eindeutig entschieden worden.