Mit Helmut Schmidt verstarb vor drei Wochen mit Sicherheit einer der beliebtesten Bundeskanzler, wenn nicht sogar der in der Bevölkerung angesehenste Politiker seit der Gründung der Bundesrepublik. Seines Zeichens Bundeskanzler in einer Episode der von heftigen Krisen geschüttelten Bundesrepublik, bewahrte er stets einen kühlen Kopf und fällte mit einer beachtlichen Freiheit von Affekten kritische Entscheidungen. Die Sturmflut in Hamburg, der RAF-Terrorismus der 70er-Jahre und der NATO-Doppelbeschluss von 1979 sind die prominentesten Beispiele für die Herausforderungen, an denen er sich messen musste. In einem Artikel aus der ZEIT zu Anfang des Jahres schrieb er:
„Die innere Gelassenheit hat mir die nötige Kraft gegeben, meiner Pflicht nachzukommen.“
— Helmut Schmidt (1918–2015)
In diesen Worten steckt überraschenderweise bereits der Kern der stoischen Lebensweise.Weniger überraschend ist dies, wenn man weiß, dass Schmidt schon in jungen Jahren in Kontakt mit den Schriften des römischen Kaisers Marc Aurel gekommen war und ihn dessen Forderung nach vorbildlichem Handeln nachhaltig beeindruckten und prägten. Es war für ihn die Rückbesinnung auf eben diese Selbstbetrachtungen Marc Aurels, die Schmidt, so sagt er selbst, in schwierigen Zeiten wegweisend waren und stets die für ihn kennzeichnende Gelassenheit zu ihm zurückkehren ließen.
Das antike Griechenland
Mit diesem eindrucksvollen Beispiel noch heute gelebter stoischer Prinzipien begann Bbr. David Beumers eine wissenschaftliche Sitzung über die Ethik der Stoa. Um die Entstehungsgeschichte der stoischen Philosophie im zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext darzustellen, folgte zunächst ein kurzer Überblick über die Anfänge philosophischen Denkens im antiken Griechenland.
Am Anfang stehen die Naturphilosophen des 6. Jhd. v. Chr., darunter zum Beispiel Heraklit und der häufig als Begründer der Philosophie genannte Thales von Milet. Sie versuchten erstmals das Wesen und den Ursprung allen Seins zu begreifen und die Welt auf neue, rationale Weise zu erforschen. In dieser Zeit ist auch die Entstehung des Begriffs logos für ein göttliches, die Welt durchwirkendes Prinzip, zu verordnen, welcher später noch im Zusammenhang mit der Stoa wichtig wird. Darauf aufbauend prägen Sokrates und vor allem Platon sowie Aristoteles die Philosophie nachhaltig, in dem sie diese systematisieren und die Disziplinen Erkenntnistheorie, Moralphilosophie und Ethik einführen.
Es folgte ein kurzer Exkurs in die Gesellschaft des antiken Griechenlandes, insbesondere in die Struktur der griechischen Staatenwelt mit unterschiedlichen Poleis wie Athen, Sparta oder Theben, sowie das Selbstverständnis der dort lebenden Bürger. Im 3. Jhd. v. Chr. zersplitterte das enorme Reich, das Alexander der Große zeitlebens von Makedonien aus in den Nahen Osten bis ins heutige Pakistan ausgeweitet hatte, nach dem unerwarteten Tod seines Begründers. Plötzlich führerlos und ohne klare Regelung der Nachfolge teilten Alexanders Feldherren sein Weltreich unter sich auf. Diese Zeit der Unsicherheit war Nährboden für neue philosophische Strömungen, die den Menschen Orientierung und Halt geben und ihnen darüber hinaus ermöglichen sollte, ein glückliches und sinnerfülltes Leben zu führen: Skeptizismus, Epikureismus und Stoa.
Der Epikureismus war stark praktisch geprägt. Erklärtes Ziel waren heitere Seelenruhe und Glückseligkeit durch Konzentration auf Lust und Genuss. Verhalten, das Unlust oder gar Schmerz nach sich zieht ist tunlichst zu vermeiden.
Die Stoa
In Konkurrenz zur Lehre Epikurs existierte die Stoa. Um ihre Grundpfeiler anschaulicher zu gestalten, bemühte Bbr. David Beumers die sogenannte Gartenmetapher: Die Logik ist die Mauer, die den Garten umgibt. Sie begrenzt unser Erkennen und unsere Wahrnehmung. Sie bildet den Rahmen für Urteile und Schlüsse, unser Denken und schließlich auch ethisches, sittlich richtiges Handeln.
Der Baum im Garten entspricht der Physik. Er repräsentiert die Einheit von Gott und Natur, von Materie und göttlicher Idee, die Alles durchdringt (siehe logos). Darüber hinaus steht die Stoa für eine streng deterministische Weltanschauung, in der der Mensch und sein Handeln lediglich ein Teil einer langen Kausalkette sind, die er selbst nicht frei beeinflussen kann.
Die Frucht ist schließlich die Ethik. In ihr reift die Erkenntnis wie man im Einklang mit der „Allnatur“ ein gutes Leben zu führt, mit dem Ziel Tugenden wie Weisheit, Genügsamkeit, Leidenschaftslosigkeit und Gelassenheit zu erlangen.
Von stoischer Gelassenheit
Erklärter Feind des Stoizismus ist jede Form des Affektes, die Handeln und Denken trübt. Lust, Gier, Trauer und Angst werfen den Menschen aus seinem inneren Gleichgewicht und hindern ihn daran, besonnen zu handeln. Wahrlich frei ist im stoischen Sinne nur jener, der erkennt, dass er den äußeren Fluss der Ereignisse nicht zu beeinflussen vermag. Er akzeptiert sein Schicksal gelassen und blickt stattdessen in sich selbst, um die eigenen Ansichten zu prüfen und den Umgang mit gegeben Umständen zu hinterfragen.

Der Vortrag von Bbr. David Beumers war mit über 30 Gästen nicht ohne Grund einer der am besten besuchten seit Langem! Er ist, wie sich wieder einmal zeigte, ein begnadeter Redner, der vor Publikum erst richtig zur Hochform aufläuft, und mit der Stoa ein komplexes Thema anschaulich und lebhaft darzustellen vermochte. Dabei wirkte sein Vortrag nie überhöht oder prätentiös und war stets nah am Zuhörer, auch wenn er tief in die Materie einstieg. Im Anschluss gab es die Möglichkeit im Forum ungeklärte Fragen zu erörtern und den Wert der Stoa im modernen Leben sowie deren Stärken und Schwächen zu diskutieren, wovon ausgiebig Gebrauch gemacht wurde.
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