„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“
— Immanuel Kant (1724–1804)
Immanuel Kant, bedeutender Philosoph und der wohl einflussreichste Gelehrte der deutschen Aufklärung, verlieh mit diesem Satz in seiner 1788 erschienenen Kritik der praktischen Vernunft seinem ehrfürchtigen Staunen Ausdruck. Ein Staunen über das moralische Gesetz, welches so unbezweifelbar sei, dass es von einer höheren Macht stammen müsse. Grund genug für uns, die Sentenz zum Semesterthema zu machen und uns mit der gesamten Tragweite von Werten, Normen und Moral zu beschäftigen.
Aufbruch in ein neues Denken
In seiner Wissenschaftlichen Sitzung stellt Bbr. Florian Kauth den Bezug zu den antiken Philosophien – anknüpfend an die Wissenschaftliche Sitzung zur Ethik der Stoa – her und gibt zunächst einen Überblick für die Philosophiegeschichte bis zur Renaissance. Mit dem Beginn dieser Epoche traten naturwissenschaftliche Fragen und eine Neubetrachtung der antiken Philosophen in den Vordergrund. Die anschließende Moderne war stark von den sich entwickelnden mathematischen Methoden geprägt. Philosophisch standen sich in dieser Zeit der Rationalismus und der Empirismus gegenüber, also die Frage ob wahre Erkenntnis rein aus dem Geist, oder doch aus Sinneserfahrung zu gewinnen sei. Hier stritten berühmte Namen auf beiden Seiten: René Descartes, Blaise Pascal und Wilhelm Leibniz als Vertreter des Rationalismus auf der einen und die Empiriker Isaac Newton, John Locke und Thomas Hobbes auf der anderen. Aus dem Rationalismus und der Renaissance ging schließlich die Aufklärung hervor und damit die Überzeugung, dass die Vernunft die Grundlage aller Erkenntnisse und der Maßstab menschlichen Handels sei. Es kommt die Idee der Religionsfreiheit auf und die französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau und Voltaire avancieren zu den einflussreichsten Denkern ihrer Zeit.
Kants philosophische Positionen
Hier betritt Immanuel Kant die Bühne. Bevor er seine kritische Phase beginnt, war er Anhänger des Rationalismus. In der Kritik der reinen Vernunft setzt er sich mit Rationalismus und Empirismus gleichermaßen auseinander und behandelt erkenntnistheoretische Fragen („Was kann ich wissen?“). Der Begriff „Kritik“ meint hier eine Herausarbeitung der Unterschiede und eine Beurteilung beider Strömungen. Kant kommt zu dem Schluss, dass „reine Vernunft“ die Fähigkeit sei, Erkenntnisse ohne Rückgriff auf vorhergegangene sinnliche Erfahrungen zu erlangen.
Wie in der Prinzipienrede zu Beginn des Semesters gehört, ist Kant ein Vertreter der deontologischen Ethik und steht somit im starken Gegensatz zum Konsequentialismus. Kant beurteilt die moralische Qualität einer Handlung nur nach der Handlung selbst und niemals nach ihrem Ergebnis. Eine Handlung ergibt sich bei ihm aus einer Pflicht, die sich wiederum aus einem sittlichen Gesetz ableitet. Die Handlung müsse sogar um des sittlichen Gesetzes willen geschehen, um als moralisch gut gelten zu können, im Unterschied zum bloßen pflichtgemäßen Handeln.
Immanuel Kant sieht den Menschen als ein teilvernünftiges Wesen, in dem Sinne, dass sich niemand freimachen könne von seinen Neigungen. Erst daraus ergibt sich für ihn die Notwendigkeit der auf Pflicht beruhenden Ethik. Zwar könne und müsse jeder Mensch Maximen – Handlungsregeln mit einem moralischen Charakter – entwickeln. Diese seien aber nie objektiv gültig, sondern blieben subjektiv. So erklärt sich seine Hervorhebung des kategorischen Imperativs, dem Herzstück seiner Ethik. Nach Kant handelt es sich hierbei um ein von ihm entdecktes Naturgesetz, dass unsere moralischen Handlungen leitet und im Gegensatz zu Maximen oder hypothetischen Imperativen objektiv und immer, also kategorisch, gültig ist.
„Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger, und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“
— Immanuel Kant
Mit Bezug auf den kategorischen Imperativ stellt Kant zwei Regeln für die (subjektiven) Maximen auf:
- Sie müssen als ein allgemeines Gesetz widerspruchsfrei gedacht werden können.
- Der Wille dieser Maxime darf sich nicht selbst im Weg stehen.
Aus dem kategorischen Imperativ leitet Kant zudem seine „Selbstzweckformel“ ab, die besagt, dass ein Mensch immer nur als Zweck und niemals als Mittel „gebraucht“ werden darf, wie Professor Dr. Joachim Söder bereits im Festvortrag beim Vereinsfest dargelegt hat. Hieraus soll sich später der Begriff der Menschenwürde ableiten, der Einzug in unser Grundgesetz gefunden hat.
Die Pflichtenethik im Praxis-Check
Bereits bei unserem Besuch des Theaterstücks „Terror“ wurden wir mit der Frage der praktischen Anwendbarkeit von Kants vermeintlichem Naturgesetz konfrontiert. In dem interaktiven Theaterstück plädierten damals 75% der Zuschauer für einen Freispruch des Angeklagten, der als Major der Luftwaffe ein Passagierflugzeug abgeschossen hatte. Das Flugzeug war entführt worden und sollte als Waffe missbraucht werden. Die Staatsanwältin argumentierte im Sinne Kants (und im Sinne des Bundesverfassungsgerichts) für eine Verurteilung wegen Mordes. Ihr zufolge seien die Menschen durch den Flugzeugabschuss gesetzeswidrig als Mittel gebraucht worden, um andere Menschen zu retten. Auch im Anschluss an den Vortrag entspann sich eine solche Diskussion um die Praxis der Kant’schen Pflichtenethik.
Zur Biographie des Immanuel Kant

Geboren wird Immanuel Kant im April 1724 im ostpreußischen Königsberg, das er selber fast nie verlassen wird. Als viertes von neun Kindern einer pietistisch geprägten Handwerkerfamilie wächst er zwar liebevoll erzogen, aber unter einem hohen Leistungsdruck auf. Schon früh stirbt seine Mutter, da geht Kant noch zur Schule. Er schafft den Eintritt in die Universität Königsberg, wo er sich endlich mit der von ihm verehrten Philosophie und den Naturwissenschaften beschäftigen kann. Ein Stipendium erhält der hochbegabte Kant nicht, er verdient sich seinen Unterhalt durch Nachhilfe und Billardspielen. Sechs Jahre später muss er die Universität verlassen, aufgrund des Todes seines Vaters und weil seine Abschlussarbeit nicht anerkannt wurde.
Mit 22 Jahren verdingt sich Immanuel Kant als Hauslehrer. Erst acht Jahre später kann er sein Studium wiederaufnehmen und sich habilitieren. Obwohl eine erste Bewerbung auf den Königsberger Lehrstuhl für Metaphysik und Logik fehlschlägt, lehnt Kant Angebote anderer Hochschulen ab. 1770 schließlich wird Kant doch zum Professor für Metaphysik und Logik an der Universität Königsberg ernannt. Er wird später sogar zeitweise Rektor.
Kant gilt als Sonderling, nicht zuletzt wegen des selbst auferlegten rigorosen Tagesablaufs. Jeden Morgen lässt er sich um genau 4:45 Uhr von seinem Hausdiener Lampe wecken. Um 5 Uhr trinkt er zwei Tassen Tee und raucht eine Pfeife Tabak. Dann bereitet er seine Vorlesungen vor. Von 7-9 Uhr hält er Vorlesung und von 9-12:45 Uhr arbeitet Kant an seinen Veröffentlichungen. Die Zeit von 13-16 Uhr nutzt er für ein ausgiebiges Mittagessen – gerne mit eingeladenen Gästen – und um 16 Uhr folgt der Spaziergang auf dem immer gleichen Weg. Bis 22 Uhr widmet er den Abend der Lektüre und ab 22 Uhr herrscht schließlich Bettruhe.